Haltung III: Pflege
Die Aquarienkunde ist längst über das Stadium des Dilettantismus hinausgewachsen. Zwar ist sie Liebhaberei geblieben — ein Wort, das die Beziehungen des Aquarienfreundes zu seinen Pfleglingen am besten kennzeichnet —, aber sie steht heute auf einem festen Fundament vielfältiger Erfahrungen und umfangreichen Wissens.
Erfolgreiche Aquaristik hängt wesentlich von pflegerischen Maßnahmen ab, deren Sinn sich nur mit Hilfe von etwas biologischem, ökologischem und biochemischem Grundwissen erschließt. Zum Betrieb eines Aquariums ist dieses Wissen m. E. unabdingbar. Dadurch können Beobachtungen richtig gedeutet und sinnvolle Eingriffe vorgenommen werden.
Nur so ist es möglich, Probleme zu lösen, anstatt sie zu bekämpfen.
Auch führt so ein Wissen zu einem gelasseneren Umgang mit vermeintlichen „Problemen“. Die Berücksichtigung der Zusammenhänge im Aquarium ermöglicht eine entspanntere, preisgünstigere und weniger arbeitsintensive Aquaristik. Gleichzeitig ergibt sich daraus eine artgerechtere Tierhaltung.
Ein Aquarium — nach Roßmäßler (1857) eine „Wasserei“ — ist für mich die Gesamtheit eines funktionierenden Ökosystems, in dem artgerechte, gute Haltungsbedingungen gesunde und widerstandsfähige Fische zur Folge haben. Alles andere sind lediglich Fischbehälter: mit Wasser gefüllte und mit Fischen besetzte Glaskästen.
Vor allem mit den robusten Goldfischen sollte die Schaffung solch eines Aquariums bei Verstand, Wissen und gutem Willen leicht zu realisieren sein.
Alle Stoffkreisläufe im Aquarium beruhen auf Vorgängen, die so auch in natürlichen Gewässern ablaufen.
Man unterscheidet drei „Berufe“: die Produzenten, die Konsumenten und die Destruenten.
Die Produzenten leben gewissermaßen von „Licht und Luft“, Wasser und einigen Mineralien, indem sie mit Hilfe von Lichtenergie und Wasser das in der Umgebung enthaltene Kohlendioxid (CO2) zu Kohlenhydraten (Zucker, Stärke, Cellulose) umbauen, damit ihren eigenen Stoffwechsel betreiben und Biomasse aufbauen. Sie produzieren also organisches Material, daher der Name Produzenten. Dieser „Beruf“ wird von einigen Bakterien sowie von allen Algen und anderen Pflanzen ausgeübt. Sozusagen als „Abfallprodukt“ der Photosynthese (so nennt man den Vorgang des Stoffaufbaus mittels Lichtenergie) fällt Sauerstoff (O2) an.
Die Konsumenten leben von den Produzenten oder anderen Konsumenten. Sie beziehen ihre Nährstoffe dadurch, daß sie die Biomasse anderer Organismen konsumieren. Bei ihrem Stoffwechsel wird Sauerstoff (O2) verbraucht, und Kohlendioxid (CO2) abgegeben. Diesen „Beruf“ üben alle Tiere, die meisten Pilze und viele Bakterien aus. Diejenigen Tiere und Pilze, die sich von den Ausscheidungen, Abfällen und toten Körpern der Produzenten und Konsumenten ernähren, sind zwar ebenfalls Konsumenten, leiten aber über zu den Destruenten.
Die Destruenten schließlich bauen all das, was an Biomasse der beiden anderen „Berufe“ anfällt, wieder ab zu den Ausgangsstoffen: Wasser, Mineralstoffe und Kohlendioxid (CO2). Diesen Vorgang nennt man auch Mineralisation, und er wird hauptsächlich von verschiedenen Bakterien und einigen Pilzen durchgeführt.
Der Kreis schließt sich, denn Wasser, Mineralien und Kohlendioxid sind die Ausgangstoffe für die Produzenten.
Ein kurzer Kreislauf könnte z. B. so aussehen:
Eine Algenzelle betreibt Photosynthese, sie wächst und baut Biomasse auf, indem sie Kohlendioxid und Wasser aufnimmt und Sauerstoff abgibt. Ein Wasserfloh frißt die Alge und betreibt mit den von ihr aufgebauten Kohlenhydraten seinen eigenen Stoffwechsel. Er ist ein Konsument 1. Ordnung und benötigt zum Leben natürlich nicht nur eine einzelne Algenzelle sondern derer viele. Außerdem benötigt er den von Algen und anderen Pflanzen produzierten Sauerstoff. Nun wird der Wasserfloh selbst von einem Fisch gefressen — der Fisch ist nun ein Konsument 2. Ordnung. Der Fisch frißt zwar den Kleinkrebs, lebt aber in letzter Konsequenz von den Nährstoffen, die die Algen als Produzenten aufgebaut haben. Auch der Fisch benötigt Sauerstoff. Von seinem Kot oder auch von seinem Kadaver leben nun wiederum verschiedene wirbellose Kleintiere: Schnecken, Krebstiere, verschiedene „Würmer“ usw. Solche „Kot- und Aasfresser“ sind zwar Konsumenten, beginnen aber mit dem Abbau der Substanz und leiten so zu den Destruenten über: Bakterien machen sich über jeglichen Kot und andere organische Abfälle her und zerlegen alle Substanzen wieder in die Ausgangsstoffe.
Der Unterschied unserer Aquarien zur freien Natur besteht darin, daß sie kein völlig geschlossenes System sind, sondern ein halboffenes: Unsere Aquarien sind meist viel zu klein, als daß sich darin der Kreis schließen könnte. Wir haben mit unseren Fischen zu viele Konsumenten höherer Ordnung im Becken; wohingegen die Anzahl an Produzenten, an Konsumenten niedrigerer Ordnung und an Destruenten zu gering ist. Dies merken wir am deutlichsten daran, daß wir regelmäßig füttern müssen, oder daß ein gestorbener großer Fisch baldmöglichst aus kleinen und mittleren Becken entfernt werden muß, um eine Katastrophe zu verhindern.
Wir führen unserem Aquarium mit der Fütterung also ständig Biomassse zu. Diese muß ja irgendwo bleiben.
Was geschieht nun mit den zugeführten Stoffen, und wie greifen wir als Aquarianer in diese Prozesse am sinnvollsten ein?
Egal, was wir füttern, ob Lebendfutter, Salat oder Trockenfutter (vgl. die Seite Ernährung und Fütterung in diesem Kapitel), die mengenmäßig überwiegenden und verwertbaren Stoffklassen kennen wir auch von der menschlichen Ernährung her: Es sind dies Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße (Proteine).
Sprechen Sie bitte nie von Kohlehydraten. Das, was wir und unsere Fische zu uns nehmen, besteht nämlich nicht aus Kohle, sondern aus dem Stoff, aus dem die Kohle besteht, nämlich Kohlenstoff (C, lat. Carbonium). Vollständig müßte es Kohlenstoffhydrate heißen. Diese Kohlenhydrate (die nicht nur unserer Ernährung dienen, sondern im Laufe von Jahrmillonen auch zu Kohle werden konnten), sind Verbindungen des Kohlenstoffs mit Wasser, bestehend aus Wasserstoff (H, lat. Hydrogenium — Wasserbildner) und Sauerstoff (O, lat. Oxygenium). Den Kohlenhydraten ähnlich sind die Kohlenwasserstoffe; die zwar für uns ungenießbar sind, aber in Form von Öl, Benzin und Gas in einer Verbrennungsreaktion mit Hilfe von Sauerstoff zur Energiegewinnung genutzt werden können. Lebende Organismen nutzen die Kohlenhydrate, um Lebensenergie zu beziehen. Die meisten heutigen Organismen (so auch alle Pflanzen und Tiere) benötigen zu diesem Stoffwechsel Sauerstoff (der in der Atmosphäre und als im Wasser gelöstes Gas als Doppelmolekül O2 vorliegt). Dabei werden Wasser (H2O) und Kohlen(stoff)dioxid (CO2) freigesetzt.
Fette sind eine besondere Speicherform der Kohlenhydrate und werden während des Verdauungsvorganges letztlich auch wieder zu diesen umgewandelt. Fette und Kohlenhydrate werden also zwecks Energiegewinnung wie oben beschrieben unter Sauerstoffverbrauch umgesetzt zu Kohlendioxid (CO2) und Wasser (H2O). (Die anfallende Menge an Wasser ist vernachlässigbar.)
Der Umstand, daß durch den Stoffwechsel der Aquarientiere Sauerstoff (O2) verbraucht wird und Kohlendioxid (CO2) anfällt, war früher ein großes Problem in der Aquaristik: CO2 sammelt sich im Wasser an und führt bei zu hoher Konzentration zu Atmungsproblemen und einer Übersäuerung sowohl des Wassers als auch des Blutes der Fische. (Übersäuerung deswegen, weil ein Teil des in Flüssigkeiten gelösten CO2 mit Wasser zu Kohlensäure reagiert — wir kennen dies vom Mineralwasser.) Dies sowie der Mangel an Sauerstoff (O2) führen zu Krankheit und Tod bei Fischen und anderen Tieren. O2-Mangel kann weiterhin Fäulnisprozesse im Becken fördern.
Eine kräftige Be- und Durchlüftung des Wassers (also ein Gasaustausch des Aquariums mit der Umgebungsluft) kann das Kohlendioxid aus dem Wasser austreiben und Sauerstoff hineinbringen.
Etwas weiter oben wurde aber bereits erwähnt, daß die Pflanzen das Kohlendioxid aufnehmen und gleichzeitig Sauerstoff abgeben. In Aquarien mit handelsüblicher elektrischer Beleuchtung und angemessen sparsamem Tierbesatz ist die Photosyntheseaktivität der Pflanzen ausreichend, um genug Sauerstoff zu produzieren und das anfallende CO2 zu verwerten. Es ist sogar so, daß in vielen Aquarien das anfallende CO2 gar nicht ausreicht, um den Bedarf der Pflanzen zu decken! (In solchen Fällen empfiehlt sich eine CO2-Düngung.)
Es ist in bepflanzten und beleuchteten Goldfisch-Aquarien selten bis gar nicht nötig, meist sogar kontraproduktiv, das Wasser zu durchlüften. Beleuchtung und Pflanzen helfen uns, den Kohlenstoff- und Sauerstoffkreislauf schadlos ablaufen zu lasssen. Da in Goldfischaquarien wegen der Größe der Fische und der Notwendigkeit eines freien Schwimmraumes nicht so dicht bepflanzt wird wie in vielen tropischen Aquarien, ist sparsame Besatzdichte mit Fischen um so wichtiger.
Ich möchte noch darauf hinweisen, daß die Photosynthese auch von allen Algen sehr effektiv durchgeführt wird. Ein dichter Algenrasen ist also der Beckenökologie förderlich.
Etwas komplizierter verhält es sich mit den Eiweißen (Proteinen). Wichtiger Bestandteil der Proteine ist das Element Stickstoff (N, lat. Nitrogenium).
Stickstoff liegt molekular als Doppelmolekül N2 vor (wie Sauerstoff O2), und ist mit 78 % Hauptbestandteil unserer atmosphärischen Umgebungsluft (21 % O2, 0,03 % CO2; ca. 1 % verschiedene Edelgase). Da molekularer (Luft-)Stickstoff aber ausschließlich von ganz wenigen Bakterien — z. B. den bekannten Knöllchenbakterien an bestimmten Pflanzenwurzeln — aufgenommen und verwertet werden kann und für alle anderen Lebewesen wertlos ist, sind biologisch verwertbare Stickstoffverbindungen in der belebten Natur jahrmillionenlang Mangelware gewesen. Erst menschlich verursachter übermäßiger Stickstoffeintrag (landwirtschaftliche Düngung, kommunale und industrielle Abwässer) hat dies geändert und zu Problemen im Gewässerhaushalt geführt. Auch in unseren Aquarien, die im Verhältnis zu natürlichen Besatzdichten viel zu viele Tiere aufweisen (in freier Natur wären „Gewässer“ von der Größe eines normalen Aquariums völlig fischfrei), haben wir aufgrund des Futtereintrags und der Verstoffwechselung der Proteine (Eiweiße) durch Fische, Schnecken und andere Tiere einen Stickstoffüberschuß. Dabei liegt der Stickstoff in verschiedenen, unterschiedlich schädlichen Verbindungen vor:
Alle Tiere haben spezielle Ausscheidungsorgane für überschüssige Salze und Stickstoffverbindungen entwickelt. Bei Wirbeltieren sind dies die Nieren. Anders als Säugetiere (sie scheiden Harnstoff aus) oder Sauropsiden (Vögel und „Reptilien“ — sie scheiden Harnsäure aus), scheiden Fische Ammonium aus; und zwar nicht nur über ihre Nieren, sondern auch fortwährend über die Kiemen. Dieses Ammonium (NH4+) sammmelt sich im Wasser an. Es ist verhältnismäßig ungiftig, wandelt sich aber bei basischem Wasser (pH > 7) zunehmend um zu sehr giftigem Ammoniak (NH3). (Je höher der pH-Wert, um so höher der Anteil an Ammoniak.)
In jedem Aquarium leben nun Bakterien, die ihre Energie dadurch beziehen, daß sie Ammonium mit Hilfe von Sauerstoff umwandeln zu Nitrit (NO2−). Dies sind überwiegend Bakterien der Gattung Nitrosomonas.
Nitrit ist ebenfalls giftig und hemmt auch das Pflanzenwachstum, kann aber von einer Gruppe anderer Bakterien (überwiegend der Gattung Nitrobacter) weiterverarbeitet werden: wiederum unter Sauerstoffverbrauch entsteht als Stoffwechselprodukt Nitrat (NO3−). Nitrat ist ein wesentlich harmloserer Stoff. Ob er überhaupt fischgiftig ist, wird unter Fachleuten noch diskutiert. Fest steht aber, daß eine erhöhte NO3−-Konzentration unnatürlich ist. Um das Wohlergehen von Fischen und Pflanzen nicht zu gefährden, sollte die Konzentration nicht dauerhaft hoch liegen.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß es Bakterien gibt, die auch Nitrat weiter verstoffwechseln können: sie leben anaerob (ohne freien Sauerstoff), und gewinnen ihre Energie dadurch, daß sie dem Nitrat (NO3−) Sauerstoff entziehen, wodurch wieder Nitrit (NO2−) entsteht. Durch eine weitere Reduktion des Nitrits entstehen dann Distickstoffoxid (N2O, Lachgas) und letztlich molekularer Stickstoff (N2), jenes absolut ungiftige und reaktionsarme Gas, welches einen Großteil unserer Atmosphäre ausmacht.
In den meisten Aquarien spielt (leider) nur der erstbeschriebene bakterielle Stoffwechselweg (die sogenannte Nitrifikation) eine Rolle: Ammonium zu Nitrit zu Nitrat. Die dies bewirkenden Bakterien leben substratgebunden: an pflanzlichen Oberflächen, an Steinen und Glaswänden, zwischen Algen, im Mulm und im Boden. Aufgrund unserer verhältnismäßig dicht mit Konsumenten vollgepackter Becken können und sollten wir ihre Siedlungsfläche vielfach vergrößern, indem wir ihnen einen durchströmten (so werden O2 und abzubauende Nährstoffe herantransportiert) Filter mit entprechendem Filtermaterial anbieten. Solch ein „Filter“ genanntes Gerät hat also — anders als oft angenommen — keine mechanische Reinigungsfunktion (eine solche erachte ich als unnötig), sondern die Funktion einer Wasseraufbereitungs- oder Kläranlage! Es kompensiert den im Vergleich zu natürlichen Gewässern in einem Aquarium herrschenden Überbesatz in stoffwechselphysiologischer Hinsicht. In diesem „Filter“ läuft komprimiert ein Teil der Vorgänge der „Selbstreinigung“ eines natürlichen Gewässers ab.
Das sich durch diese Vorgänge im Aquariumwasser ansammelnde Nitrat muß regelmäßig durch einen Teilwasserwechsel entfernt werden.
Je besser das Ökosystem Aquarium funktioniert, umso eher findet irgendwo auch der zweite geschilderte Vorgang statt, die unter sauerstofflosen Bedingungen verlaufende Denititrifikation, auch Nitratatmung genannt: Nitrat zu Nitrit zu molekularem Stickstoff. Dies kann in bestimmten anoxischen (sauerstofflosen) Zonen des Filters geschehen (selten), im Boden (oft, aber mengenmäßig häufig irrelevant), in speziellen Nitratfiltern (wer hat das schon?) oder — im Mulm! Die Denitrifikation wird mengenmäßig in vielen „konventionellen“ Aquarien nicht groß ins Gewicht fallen, aber zusammen mit der Nitrataufnahme vieler Pflanzen sollte es eigentlich möglich sein, den Nitratgehalt des Leitungswassers nicht ansteigen zu lassen. In meinem Aquarienwasser ist sogar weniger Nitrat enthalten als im Leitungswasser, und mir sind mehrere Aquarianer bekannt, bei denen dies ebenfalls der Fall ist.
Dies kann nicht immer gelingen, besonders in überbesetzten Becken ist dies oft nicht zu realisieren. Auch ist dies in ästhetisch sauberen Becken oft nicht der Fall. Daher ist ein regelmäßiger Teilwasserwechsel wichtig.
Die geschilderten Vorgänge sind nur die Hälfte guter Aquaristik. Auch in den Aquarien, in denen sich ein so gut funktionierendes Ökosystem eingestellt hat, daß sich kein Nitrat ansammelt, empfiehlt sich der regelmäßige Teilwasserwechsel. Es werden dadurch noch andere Stoffwechselprodukte entfernt und verbrauchte Spurenelemente wieder zugeführt. Ein Wasserwechsel dezimiert nicht die Anzahl der wertvollen Bakterien; diese leben, wie erwähnt, überwiegend substratgebunden; also im „Filter“ (= Kläranlage), im Boden, an Oberflächen und im Mulm.
Ein regelmäßiger Teilwasserwechsel gehört neben der Fütterung in den meisten Aquarien zu den wichtigsten Pflegemaßnahmen.
Im vorhergehenden Text wurden mehrmals nützliche Bakterien erwähnt. Wie bekommt man sie in das Becken? Lohnt es sich, im Fachhandel Bakterienstarter für den Filter zu kaufen?
Und wie verhindert man, daß sich im Becken krankheitserregende Bakterien ansiedeln?
Machen Sie sich diesbezüglich keine Sorgen. Bakterien sind überall. An den Glaswänden des Beckens, an Steinen, im Kies oder Sand, an pflanzlichen Oberflächen und am Filtermaterial. Auch im Leitungswasser, welches ja nur keimarm, nicht aber steril ist, an winzigen Staubpartikeln in der Luft und natürlich auch an unserer aller Hände und im Fischkot: überall befinden sich einzelne lebende Zellen oder auch die robusten Dauersporen von sporenbildenden Bakterien. Zwar überwiegend nur wenige, aber sie sind da. Überall. Dort, wo sie ihnen zusagende Bedingungen vorfinden, vermehren sie sich nach einer gewissen Zeit u. U. massenhaft.
Dies bedeutet für uns Aquarianer nun zweierlei:
Zwei Erscheinungen sorgen bei vielen Aquarianern oft für Verdruß, verleiden die Freude am Hobby Aquaristik und füllen die Kassen der Zubehörindustrie: Algen und Mulm.
Mein Aquarium ist schon wieder ganz veralgt …
und In meinem Aquarium sammelt sich soviel Dreck an,
sind oft gehörte und gelesene Klagen und verzweifelte Hilferufe. Und Handel und Industrie vermitteln dem Aquarianer nur zu gerne das Gefühl, daß dagegen unbedingt etwas unternommen werden müsse.
Ich rufe an dieser Stelle zu Gelassenheit und einem anderen Umgang mit Algen und Mulm auf!
Algen sind ein wichtiger Sauerstofflieferant, sie bieten Bakterien und anderen Mikroorganismen Lebensraum, sie stellen sowohl direkt als auch indirekt (durch die Beherbergung von Kleinst- und Mikroorganismen) Futter für die Fische dar, sie entziehen dem Wasser Nährstoffe und sind überhaupt eine natürliche und unschädliche Erscheinung eines jeden Gewässers. Was ist an ihnen so schlimm?
Fast immer sind es optische ästhetische Gründe, die einen Aquarianer zum Algenfeind machen. Aus Sicht der Fische und des Ökosystems Aquarium gehören Algen aus den genannten Gründen unbedingt dazu.
Speziell in Goldfischbecken muß man mit Algen leben. Anders als in vielen tropischen Gewässern, wo die Wasserwerte (huminsäurehaltiges salzarmes Wasser) eine andere Flora bedingen, sind die Gewässer gemäßigter Breiten in aller Regel viel veralgter. Auch f hlen in einem Goldfischaquarium algenfressende Fische, die sich sonst in den meisten Gesellschaftsbecken befinden.
Die beste Konkurrenz zu Algen sind gut wachsende höhere Pflanzen und stabile Bedingungen. Unter der Vielfalt an Algen wird es immer ein paar Arten geben, denen die augenblicklichen Bedingungen sehr zusagen. Da Algen dadurch sehr viel schneller auf Änderungen im Gesamtsystem reagieren, wird sich fast jede Bekämpfungsmaßnahme zunächst nur günstig auf das Algenwachstum auswirken: Höhere Pflanzen brauchen immer eine gewisse Zeit, um sich veränderten Bedingungen anzupassen. Dies bedeutet, daß man als Aquarianer außer in akuten Notfällen nur behutsame und wenige Veränderungen vornehmen sollte. Je mehr man an seinem Aquarium „herumdoktort“ um Algen zu bekämpfen, umso mehr Probleme wird man zunächst mit ihnen bekommen. Und da Algen eigentlich selten ein echtes Problem sind, lohnt sich eine Bekämpfung m. E. gar nicht. Dulden und tolerieren Sie die Algen ruhig. Sie gehören dazu. Ein algenfeies Aquarium halte ich weder für möglich noch für sinnvoll.
Es genügt, ab und zu die Sichtscheibe(n) und evtl. einige Dekorationsgegenstände von Algen zu reinigen.
Eine Ausnahme gibt es: Die sogenannten „Blaualgen“, korrekter Cyanobakterien. Eigentlich aus evolutionshistorischer Sicht faszinierende Wesen, können sie in einem Aquarium durch ihren schleimig-schmierigen, manchmal pelzigen Belag alles überwuchern. Sie stinken und sind auch für die Fische leicht giftig. Um ihre Beseitigung (regelmäßiges gründliches Entfernen) sollte man sich doch bemühen. Die Umstände, die zu ihrer Massenvermehrung in Aquarien führen, sind aber zur Zeit noch genauso unklar wie die Maßnahmen, die sie wieder verschwinden lassen. Es gibt viele Hinweise und teilweise widersprüchliche Anhaltspunkte. Bei mir hat die aus ganz anderen Gründen erfolgte Installation einer CO2-Anlage innerhalb weniger Wochen auch diese Plage beseitigt, aber eine garantierte Methode ist dies sicherlich nicht. Oft sind sie auch ein vorübergehendes Problem in noch nicht richtig eingelaufenen Aquarien (dieser Prozeß kann übrigens bis zu einem Jahr dauern).
Mulm entsteht in einem Goldfischbecken überwiegend aus Fischkot (sowie einigen anderen organischen Abfällen des Aquariums: abgestorbenen Pflanzen, Laub, unverdaulichen Resten von Futtertieren usw.). Er ist dies aber nur kurze Zeit. Die enthaltenen Stoffwechselprodukte lösen sich sehr schnell im Wasser. Es ist absolut unnötig, den Mulm zu entfernen, um Wasser und Becken „sauber“ zu halten. Ganz im Gegenteil: Die im und am Mulm siedelnden Mikroorganismen sind die gleichen, die auch im Filter die Nitrifikation betreiben. Mehr noch: Nach Untersuchungen von Dr. Gerd Kassebeer befinden sich die Dentrifikanten eines Aquariums überwiegend im Mulm. Die dort „arbeitenden“ Bakterien leben dicht gepackt, und die Diffusionsgeschwindigkeit von Sauerstoff ist relativ gering. Es ist denkbar und möglich, daß aerobe und anaerobe Bakterien in dicht beieinander liegenden Zonen unterschiedlichen Sauerstoffgehaltes leben. Die „Mulmforschung“ steht noch am Anfang, aber die wenigen mulmerfahrenen Aquarianer berichten von gleichbleibenden oder gar sinkenden Nitratwerten. Nach Erkenntnissen von Dr. Gerd Kassebeer hat Mulm außerdem Ionenaustauscherkapazität.
Mulm wird mehr und mehr Bedeutung an einem gesunden und funktionierenden Ökosystem Aquarium zugesprochen.
Ich selbst habe verschiedene wirbellose Tier im und am Mulm gefunden: verschiedene „Würmer“ (Nematoden, Oligochaeten), Kleinkrebse (Cyclopiden), Milben, Rädertiere (Rotatorien) u. a. Sie tragen als Mulmverwerter zu einem biologischen Umbau der „Abfallstoffe“ bei und dienen als kleine permanente Lebendfutterquelle für die Goldfische. Diese Tiere habe ich dort nicht gezielt angesiedelt; sie oder ihre Dauereier gelangten vielmehr mit der Luft und dem Leitungswasser, mit Laub und mit dem Futter ins Aquarium.
Mehreren Marmorkrebsen, die ich als stecknadelkopfgroße Jungtiere an die Goldfische verfütterte, gelang es, in dem vermulmten, veralgten und mit einigen Verstecken ausgestatteten Aquarium dem Gefressenwerden zu entkommen, zu überleben und heranzuwachsen.
Probleme mit Mulm sind hausgemacht: wer ein überbesetztes Becken betreibt und/oder keinen ausreichenden Pflanzen- und Algenbewuchs hat, bekommt evtl. Probleme mit Sauerstoffmangel (Mulm verbraucht Sauerstoff). Wer falsch füttert und ungefressene faulende Futterreste am Boden hat, könnte Probleme mit diesem vermodernden Futter bekommen. Umgekehrt ist aber ein mulmreiches Aquarium mit entsprechend höherer Bakterienkapazität viel besser geeignet, mit solchen „Unfällen“ fertig zu werden.
Mulm ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Aquaristik.
Algen sind eine wichtige Ergänzung zum Mulm: In meinem Becken ist der Mulm durchsetzt und überzogen von Algen. Sie sorgen für eine Sauerstoffversorgung an exakt den Stellen, wo auch ein hoher Verbrauch stattfindet.
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß sowohl Algen als auch Mulm zu einer artgerechten Haltung von Goldfischen gehören. Weil Goldfische gerne gründeln, wird ein häufiges Mulmabsaugen oft empfohlen. Ich empfehle dagegen: Lassen Sie den Goldfischen ihren Mulm!
Es macht Spaß, ihnen beim Gründeln zuzusehen. Man fördert natürliche Verhaltensweisen, was wiederum der Gesundheit der Fische nur zuträglich ist.
Ich habe Goldfische in einem „sauberen“ Becken mit „normalem“ für sie empfohlenem Kies (3 bis 5 mm Körnung) gehalten. Sie nahmen ein Steinchen in den Mund, lutschten es ab und spuckten es wieder aus. Bewegung kam meist nur zur Fütterungszeit in die Bude.
Und jetzt habe ich meine Freude daran, zu beobachten, wie sie sich in einem grobsandigen (Körnung 1 bis 1,5 mm), vermulmten und veralgten Becken benehmen: Mit wachsender Begeisterung zupfen sie teilweise stundenlang an Algen herum, fressen sie oder die sie bewohnenden Mikroorganismen oder lutschen sich darin verfangenes Futter heraus. Im Mulm wird immer wieder gestöbert und gegründelt. Sogar wenn gefüttert wird, ziehen sie es manchmal nach kurzer Zeit vor, ihr Futter am Boden zu suchen und den Mulm durchzuarbeiten, anstatt sich um das noch im Wasser oder an der Oberfläche schwimmende Futter zu kümmern. Es wird schon noch absinken … Das Gründeln im Mulm ist ein festes, mindestens halbstündiges „Ritual“ nach jeder Fütterung.
Persönlichen Geschmack und gewohntes Reinlichkeitsempfinden sollte man bei einem Aquarium gründlich überdenken. Ein aufgeräumtes und „sauberes“ Becken mag gepflegter aussehen, aber biologisch gesehen ist es oft wertlos. Dahingegen sind einige Parameter wichtig, die man mit dem bloßem Auge nicht bemerken kann (oder erst, wenn es zu arg wird, so daß die Fische darauf reagieren): zu hohe Belastungen mit im Wasser gelösten Stoffwechselprodukten sind tatsächlich schädlich. Viele „aufgeräumte“ Aquarien sind wasserchemisch die reinsten Kloaken! Mulm ist nicht der „Dreck“, nach dem er aussieht. Entgegen früherer Annahmen trägt er nicht zur organischen Belastung des Wassers bei (da die ursprünglich im Fischkot enthaltenen entsprechenden Stoffe innerhalb weniger Stunden ins Wasser übergehen), sondern trägt im Gegenteil zu einem Abbau dieser Belastung bei.
Meine Ausführungen sollen nicht dazu verleiten, die Pflege des Aquariums zu vernachlässigen! Wichtig für die Fischgesundheit ist eine gute Wasserqualität. Sie zu messen und zu kontrollieren ist angebracht. Man erreicht eine solch gute Wasserqualität, wie schon oft erwähnt, durch sparsamen Besatz und regelmäßige Teilwasserwechsel. Und unter anderem auch durch Algen und Mulm. Hat sich das Ökosystem Aquarium erst einmal eingespielt, ist die Pflege sehr einfach und nur wenig arbeitsintensiv.
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Dokument vom 01. Januar 2003
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