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Ein Hinweis zu dieser Seite: Sie ist in der jetzigen Form inhaltlich nicht auf meinem neuesten Wissensstand. Nach gründlichem Studium des Werkes von Chen (1956) haben sich einige neue und andere Aspekte ergeben. Einiges dazu findet man bereits bei Pederzani (2004a). Eine gründlichere Überarbeitung dieser Domestikations-Seite erfolgt bei Gelegenheit.  -- N.M., 26.06.2006


Die Domestikation —
Legenden und Historie

Während des Opfers öffnete sich plötzlich eine Quelle, und man sah goldene Fische aus dem Wasser schnellen.

(traditionelle Legende, s. u.)

*Dekoration*

Ueber den Ursprung des Goldfisches gibt es in Ostasien zahlreiche Mythen. Pénzes & Tölg (1993) stellen vier davon kurz vor:

Einer Legende zufolge stammen die Goldfische direkt aus dem himmlischen Reich: Die flinken Goldfische spielten hinter den Wolken und fielen aus Unvorsichtigkeit vom Rande der Wolken auf die Erde.

Es wird auch erzählt, daß ein tobendes Unwetter das Meer bis zum Grund aufwühlte. Aus der Tiefe wurden die Goldfische an die Oberfläche geworfen und fielen dabei in das Wasser des heiligen Sees in der Ortschaft Tsche-tschian. Dort fanden sie chinesische Fischer.

Noch eine andere Erzählung besagt, daß ein wunderschönes Mädchen, das schöner war als die Morgenröte, einen Burschen sehr liebte. Er verließ sie jedoch, und das junge Mädchen weinte um seinen untreuen Geliebten. Von den Tränen, die wie Perlen zur Erde fielen, wurden die wunderschönen Goldfische zum Leben erweckt.

Die folgende Legende ist die verbreitetste; und sie ist auch im „Tu schu tsi tschong“ zu finden, der 1725 erschienenen großen Enzyklopädie des Kaisers Kang hsi. Nach Kuhn (o. J.) ist sie das größte Buch der Welt und vereinigt das gesamte Wissen des alten China.
Im 145. Band der 19. Abteilung, „Tierwelt“, findet sich eine sechszehnseitige Goldfisch-Monographie, in der die Themen Allgemeines, Geschichtliches, Schöngeistiges und Vermischtes sehr sorgfältig und mit genauen Quellenzitaten behandelt werden. Über den Ursprung des Goldfisches wird im Abschnitt „Geschichtliches“ aus dem „Schu i ki“ (Bericht über merkwürdige Naturerscheinungen) mitgeteilt:

Erscheinen wunderkräftiger Goldfische in der Provinz Shen-Si:
Im zweiten Jahr der Regierung Ping Wang von der Dschung-Dynastie brachte man anläßlich einer schon zehn mal zehn Tage währenden Dürre dem Himmel ein Bittopfer dar. Während des Opfers öffnete sich plötzlich eine Quelle, und man sah goldene Fische aus dem Wasser schnellen. Gleich darauf fiel Regen.

In der Dschung-Dynastie (Tschou-Dynastie) regierte Ping Wang von 770 bis 716 v. Chr. — dieser Überlieferung zufolge stammen Goldfische in der Provinz Shen-Si (Schen hsi) also aus dem Jahr 769 v. Chr.!

Auch wenn man diese mythischen Überlieferungen einmal außer Acht läßt, ist China allgemein anerkannt das Land, in dem zuerst Zierfische gezüchtet wurden. Aus dem Reich der Mitte stammen gleich zwei Fische, die ausschließlich zur Erbauung der Menschen dienen. Anders als oft angenommen, ist der älteste Zierfisch  n i c h t  der Goldfisch, sondern der farbige Zierkarpfen, der unter dem Namen „Koi“ heutzutage allgemein als japanischer Fisch bekannt ist, aber nach alten schriftlichen Quellen aus dieser Zeit schon vor ca. 2.500 Jahren als Zierfisch in chinesischen Teichen gepflegt wurde. Während der sogenannten Frühlings- und Herbstperiode (770 bis 476 v. Chr.) schrieb der Hofbeamte Fan Li das älteste bekannte Buch über die Fischzucht (Teichfischer, 1994). Der Farbkarpfen ist also ungefähr 1.000 bis 1.500 Jahre älter als der Goldfisch, und auch über ihn gibt es eine liebenswerte Sage: „Kleine Karpfen springen über das Drachentor“, wie sie bei -> China im Bild erzählt wird:

In dieser Legende leben die Ahnen der Karpfen im Ostchinesischen Meer. Im 3. Monat des Mondkalenders, wenn die Pfirsichbäume in voller Blüte stehen, beginnen Eis und Schnee am Oberlauf des Gelben Flusses zu schmelzen und der Fluß steigt an. Jedes Jahr zu dieser Zeit schwimmen die Karpfen scharenweise vom Ostchinesischen Meer an diese Stelle und treffen sich am Drachentor, um an dem vom Jadekaiser veranstalteten Wettkampf für das Drachentorspringen teilzunehmen. Dann ist dort gerade Hochwassersaison. Das Wasser fließt schnell, und die Wellen branden gegen den Himmel. Wer das Drachentor überspringen kann, wird durch die Gnade des Jadekaisers zu einem Drachen. Diejenigen die es nicht überspringen konnten, kehren zum Ostchinesischen Meer zurück und üben weiter, um es im nächsten Jahr erneut zu probieren.

Diese zwei Fischarten werden in China also schon seit Jahrtausenden verehrt.

Abb. 1: Neujahrskarpfen -- jahr.gif (7 kB)

Abb. 1: Neujahrskarpfen. Die chinesischen Zeichen bedeuten „Jahr-Jahr-haben-übrig“ und bedeuten „Jahr um Jahr etwas übrig haben“. Das Wort „übrig“ klingt gleich wie das Wort „Fisch“. Das Bild ist ein Fisch, und dadurch hat man absichtlich die Wörter „Jahr-Jahr-haben-Fisch“ in den gleich klingenden Spruch „Jahr-Jahr-haben-übrig“ umgewandelt. Nach diesem Brauch glaubt man, daß man jährlich immer etwas übrig haben wird, wenn man zum Essen am chinesischen Neujahrsabend immer einen ganzen Fisch als Speise auf den Tisch bringt. (Der Neujahrsabend ist die zeitliche Verbindung des zu Ende gehenden Jahres mit dem neuen Jahr.)

 
 

Zurück zum „kleinen Bruder“ des Karpfens: Der Urvater des Goldfisches ist — darüber bestehen heute aus biologischer Sicht keinerlei Zweifel mehr — die Silberkarausche Carassius auratus, deren westliche Unterart Giebel genannt wird, und von der auch natürlicherweise hin und wieder rotgoldene und gelbfarbene Mutationen (Xanthorismus) vorkommen (s. auch Biologie I: Beschreibung des Goldfisches und seiner nahen Verwandten).

Die Silberkarauschen waren und sind in China beliebte Speisefische. Die xanthoristischen (goldfarbenen) Mutationen waren den frühen Chinesen jedoch nicht recht geheuer und wurden daher nicht gegessen. Man nannte sie „Chi“, und Chi möchte ich in Anlehnung an Piechocki (1981) nun auch die Tiere nennen, aus denen sich der Goldfisch, der auf chinesisch „Chi yu“ (Kin yü) heißt, entwickelte. Der sich in China verbreitende Buddhismus mit seinen Geboten, Lebewesen nicht zu töten, trug dann auch dazu bei, daß sich der Gebrauch entwickelte, Fische wieder ins Wasser zurückzusetzen.
In der Jin-Dynastie (265-420) fand man die erste goldene Silberkarausche im Xin-Don-Teich des Xin-Lin-Tempels; sie ist der eigentliche Vorfahre des Goldfisches (Teichfischer, 1994). Auch in der Liedersammlung von Si-king (entstanden im 6. Jahrhundert n. Chr.) ist die Rede von Goldfischen: Der Dichter schreibt hier über die Erbauung des königlichen Palastes (Pénzes & Tölg, 1993).
In der Zeit zwischen 200 und 500 war der goldene Chi also bekannt und verehrt, besonders häufig war er aber wohl nicht; und auch sensationsheischende Berichte über die Zucht dieser Fische sollte man sehr vorsichtig auffasssen; aufgrund der mir bekannten Quellenlage sind sie eindeutig falsch.

Die Herrschaftszeit der Song-Dynastie(n) gilt als die Epoche der Domestizierung des Goldfisches. Die Haltung war damals noch halbwild: die Seen waren groß und reichlich mit Pflanzen bewachsen und ähnelten sehr der natürlichen, ursprünglichen Umwelt der Silberkarauschen. Die Betreuer konnten den Bestand daher auch nicht genauer kontrollieren.

Aus der nördlichen Song-Dynastie (Sung-D., 960 bis 1126) liegen nun genauere Angaben (und möglicherweise die ersten zuverlässigen Berichte) vor: Unter dem Gouverneur Ting Yen-tsan wurden goldene und gelbe Chi in einem Weiher außerhalb der Stadt Jiaxing (Kiasching) in der Provinz Zhejiang (Tschekiang) in Südostchina gefangen. Dieser Goldfischweiher erhielt nun den klangvollen Namen „Teich zur Emanzipation der Tiere“, und die in ihm lebenden Chi durften nicht gefangen und verzehrt werden (Piechocki, 1981). Auch in Hangzhou (Hangtschou) fand man zu dieser Zeit goldene Chi und baute ihnen spezielle Teiche, so z. B. an der Luho-Pagode. Da die Chi nun unter strengem Schutz standen, konnten sie sich auch unter natürlichen Gegebenheiten in den Teichen ausbreiten. Zu dieser Zeit waren die farbigen Fische sehr wertvoll und ihre Haltung ein Privileg der Adligen und Reichen; bei den Mönchen galten sie als himmlische Wunder.

Der Chi wurde also gar nicht gezielt aus der grüngrauen Silberkarausche herausgezüchtet, sondern es wurden natürliche Mutationen gehegt und gepflegt!

Zur Zeit der südlichen Song-Dynastie (1107-1187) ließ Kaiser Koa-tsung in seinem Palast von Li'an (heute Hangzhou) steinerne Goldfischteiche bauen. Auch der Statthalter von Hangzhou ließ sich einen Fischteich graben (Teichfischer, 1994). In einer anderen (und vermutlich fehlerhaften) Umschrift berichten Pénzes & Tölg (1993):

Vom Jahre 1136 an unternahm der Kaiser Hiau-tsung gemeinsam mit seinen Höflingen alles, um den Goldfisch ausschließlich zur Unterhaltung und zum Entzücken seiner eigenen Person zu halten. Diese Zeit gilt im Wesentlichen als der Beginn der Zucht, da die Fische damals bereits von geübten, fachlichen Betreuern behandelt, regelmäßig gefüttert und zielgerichtet vermehrt wurden.

Kaiser Koa-tsung (= Hiau-tsung) ist für die Entwicklung des Chi zum Goldfisch also von großer Bedeutung: er machte die Tiere zu Liebhaberfischen, die nicht mehr nur als heilige Fische verehrt wurden, sondern dem selben Zweck dienten, wie sie es heute auch noch tun: Zierde und Freude. Durch seine Vorliebe für die goldenen Fische wurden diese allgemein bekannt und begehrt; er setzte gewissermaßen einen Modetrend. Aus aquaristisch-historischer Sicht markiert seine Herrschaftszeit einen wichtigen Wendepunkt: es werden nicht mehr „wilde“ goldfarbene Silberkarauschen gepflegt, sondern der Chi wird gezielt von fachkundigen Personen betreut und vermehrt. Damit war die 200- bis 500jährige Vorzeit der Goldfischhaltung beendet, es entstand der Berufsstand der Goldfischzüchter (Teichfischer, 1994).

Die unterschiedlichen Formvarietäten waren damals noch unbekannt, lediglich einige Farbnuancen der roten/goldenen Fische gab es. Sie werden z. B. in den Berichten der Dichter Su Tze-meh (Su Sse-meh, 1008-1048) und Su tung-po (Su Tung Po, 1036-1101) beschrieben. Auch hierzu weiß die große Enzyklopädie „Tu schu tsi tschong“ Auskunft zu erteilen; sie berichtet einen Abschnitt aus dem „Tsiän tang hsiän tschi“, der Geschichte des Münzteichbezirks (Hangzhou):

Besonders merkwürdig sind die Fische mit den himmelweit verschiedenen Rotfärbungen, vom Rosa der Pflaumenblüte an bis zum Fleischrot des Kranichkopfhöckers. Ihre Zucht datiert seit der Song-Zeit. Der Dichter Su tung-po war bei der Lektüre des von Su Tze-meh verfaßten Gedichtes »Die Pagode der sechs Harmonieen« auf eine Stelle gestoßen, wo es heißt: An das Brückengeländer gelehnt, harre ich auf das Kommen der Goldfische. Den ganzen Tag kann ich mit erwartungsvollem Auf- und Abgehen und Verweilen zubringen.
Er hatte den Sinn dieser Stelle nicht erfassen können. Erst viel später, bei einem Spaziergang am Gestade des »Münzteiches«, entdeckte er hinter der Pagode Goldfische im Wasser. Er warf ihnen Reiskuchenbrocken zu und lockte sie damit an die Oberfläche. Aber sie verschmähten die Brocken und tauchten wieder unter. Nun erst war ihm der Sinn jener Worte den ganzen Tag mit erwartungsvollem Auf- und Abgehen und Verweilen aufgegangen. […]
Heute umgibt den Teich ein öffentlicher Park mit Pavillons, und rings an den Ufern stehen die Menschen und vertreiben sich die Zeit mit der Betrachtung und Fütterung der Goldfische.

Der letzte Satz dieser von 1725 stammenden und von Kuhn (o. J.) übersetzten Ausführungen deutet an, wohin sich die Goldfischhaltung entwickelte:
Nach dem Tode des Kaisers Koa-tsung (Hiau-tsung) wurde der Goldfisch im ganzen Land bekannt. In zahlreichen Aufzeichnungen verewigten Dichter und Geschichtsschreiber sein „wunderbares Wesen“ (Pénzes & Tölg, 1993). Die Goldfischhaltung wurde eine Prestigeangelegenheit; alle Feudalherren hielten Goldfische oder ließen sie züchten, womit endgültig der Übergang zur Volldomestikation vollzogen wurde. Als Wu Hsi im Jahre 1206 aus Hangzhou in die Provinz Szetschuan (Sezuan) reiste, nahm er nicht nur Goldfische und sachverständige Züchter mit, sondern auch drei riesige Behälter mit Brutwasser (Piechocki, 1981).

Auch Teile der nichtadeligen Bevölkerung waren nun in der Lage, Goldfische in Teichen zu halten und sogar zu züchten. Dadurch kamen nun die Goldfischzüchter in Absatzschwierigkeiten, was sie durch die Schaffung besonderer Varietäten kompensierten: Es gab zwar noch keine abweichenden Körperformen, aber die bereits erwähnten Farbvarianten und erst recht mehrfarbige Goldfische waren nun begehrt und entsprechend kostbar. Der erste Bericht über einen mehrfarbigen Goldfisch stammt aus dem Jahre 1189. Folgende Farben waren vorhanden: goldgelb, silberweiß und schwarzweiß gefleckt (Piechocki, 1981).

Soweit also die Vorzeit der Goldfischhaltung und die Phase der Domestikation (Haustierwerdung). Wenn man den Goldfisch mit anderen Haustieren vergleicht, so ist er mit höchstens 1.500 Jahren eines der jüngeren Haustiere. Der Prozeß der Domestikation des Goldfisches vollzog sich in relativ kurzer Zeit; nach Chen (1956) dauerte er gerade einmal 762 Jahre.
Pederzani (2004a) ist der Ansicht, daß die Goldfischhaltung dieser Zeit nicht als Domestikation bezeichnet werden könne. Er führt zu Recht an, daß Domestikation mit Merkmalsveränderungen einhergehe (die hier nicht stattfinden: die Farbmutationen stammten ja von der Wildform), und daß Domestikation im Sinne von Herre & Röhrs (1973) beinhalte, daß ein isolierter Teil des Genpools der Wildform dazu führe, daß unter den Bedingungen der Gefangenschaft ein Reichtum an Entwicklungsmöglichkeiten zur Entfaltung komme, der dann vom Menschen so genutzt werde, daß auf ein Zuchtziel hingearbeitet werde. Genau dies ist bis zum bisher beschriebenen Zeitpunkt der Goldfischhaltung im alten China nicht der Fall gewesen! Die Goldfischzüchter haben bisher nicht gezüchtet sondern die Fische lediglich vermehrt (zu dieser begrifflichen Spitzfindigkeit vgl. auch Pederzani & Stallknecht, 1965).
Karpfen, Goldfische, Kampffische und Guppys sind m. E. auch die einzigen richtig domestizierten Fische. Weder die in Forellenzuchten und Lachsfarmen gehaltenen Nutzfische noch die Vielzahl der teilweise ebenfalls schon züchterisch stark veränderten Aquarienfische möchte ich als richtige Haustiere bezeichnen.

A propos Aquarienfische: In den bisher beschriebenen Zeiträumen wurden die Goldfische nur in Teichen gehalten; erst in der darauffolgenden Zeit entwickelte sich die Aquaristik, bei der Goldfische in kleinen Behältern innerhalb von Häusern oder Gärten gepflegt wurden. Nähere Informationen dazu auf der folgenden Seite: Aquarienkultur in China.


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http://goldfische.carassius-auratus.info/domestikation.htm
http://goldfische.kaltwasseraquaristik.de/domestikation.htm

Letzte Überarbeitung: 30.05.2003/26.06.2006
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