Der Siegeszug des Goldfisches um die ganze Welt ist nur mit dem des Kanarienvogels vergleichbar.
Der chinesische Goldfisch gelangte bald auch ins Ausland. Allem Anschein nach war Japan die erste Station des Chi yu außerhalb Chinas.
Axelrod (1961) und Matsui (1971) (zitiert nach Piechocki, 1981) sowie Chen (1956) (zitiert nach Teichfischer, 1994) geben 1502 als das Jahr des ersten Exportes an. Wie Piechocki (1981) ausführt, soll ein chinesischer Reisender Goldfische zu seinem Freund, einem Vasallen des Grafen von Kooryama, gebracht haben, welcher sie seinem Herrn Yoshisato Yanagisawa zeigte. Yanagisawa entschloß sich, die Fische zu züchten. Die Nachkommen dieser Fische waren in Japan dann sehr teurer Luxus, den sich nur die Aristokraten leisten konnten.
Die erste schriftliche Aufzeichnung, die Hinweise auf japanische Goldfische gibt, ist ein 1603 in Nagasaki von Leon Pages herausgegebenes japanisch-französisches Wörterbuch, in dem der Goldfisch auf japanisch „Kogane-no-uo“ heißt (Piechocki, 1981 und Teichfischer, 1994).
Angaben, daß die Jahre 1616 oder 1619 der Zeitpunkt des ersten in Japan angekommenen Goldfisch-Importes seien (neben 1502 erwähnt von Pénzes & Tölg, 1993), erscheinen nach diesen Quellen eher unwahrscheinlich. Auch wären dann Goldfische möglicherweise ungefähr zeitgleich nach Europa (s. u.) und Japan gelangt, was doch sehr erstaunlich wäre.
Kooriyama liegt zwischen den Flüssen Saho und Fuyu, die ab und zu über die Ufer treten und kleine Tümpel hinterlassen, die nicht nur die ideale Wassertemperatur haben, sondern auch mit Wasserflöhen besiedelt sind, welche für die Goldfische und ihre Brut eine hervorragende Nahrungsgrundlage sind (Piechocki, 1981).
Der chinesische Goldfisch erfuhr nun eine für uns Europäer verwirrende Benennung:
Abgesehen davon, daß er auch Yamato genannt wird (nach dem Distrikt, dessen Präfektur sich in Kooriyama befindet), wurde die Ausgangsform vieler Züchtungen, der Grasgoldfisch (diese Sorte gelangte vermutlich als erste nach Japan) nun Wakin genannt: „Wa“ ist ein altes Wort für Japan, und „Kingyo“ (vgl. das chinesische Chi yu oder Kin yü) ist das japanische Wort für Goldfisch (Kin = „Gold“ und gyo = „Fisch“). (Die Endung „gyo“ wird meist weggelassen.) Demnach wurde also aus dem guten alten chinesischen Grasgoldfisch der „Japanische Golden“ (Teichfischer, 1994).
Nach Matsui (zitiert von Teichfischer) stammen noch folgende Zuchtformen original aus China: Eierfisch (Maruko), Ryukin, Teleskopauge (Demekin) und Oranda. Teleskopaugen gelangten erst nach dem chinesisch-japanischen Krieg (1894/'95) nach Japan (somit später als nach Europa, s. u.), doch entstanden bereits zwischen 1700 und 1710 die ersten japanischen Spezialzüchtereien (Piechocki, 1981). Seit dem 18. Jahrhundert sind die Japaner durch eigene Fortschritte auf dem Gebiet der Goldfischzucht ernste Konkurrenten der Chinesen (Pénzes & Tölg, 1993). Sie schufen z. B. den Jikin (Pfauenschwanz), den Watonai und als — aus japanischer Sicht — Krönung der Goldfischzucht den Ranchu (Büffelkopf) (zu den erwähnten Formen s. Kapitel Zuchtformen). Für Ranchus werden in Japan jährlich eigene Ausstellungen ausgerichtet, und Spitzentiere erzielen im Verkauf horrende Preise.
Genau wie in China fand in Japan der Goldfisch Eingang in Dichtung und darstellende Kunst. Goldfische sind heißbegehrt bei Kindern, die sie sich auf Jahrmärkten aus großen Becken fangen dürfen, während Erwachsene auf Auktionen und Ausstellungen große Mengen Geld für besonders wertvolle Tiere ausgeben.
Insgesamt gesehen ist allerdings der Farbkarpfen, Nishikigoi (auch Koi = „Liebe“ genannt) bei den Japanern deutlich populärer als der Goldfisch! Er wurde in der Region Yamakoshi auf der Insel Honshu kultiviert (Pénzes & Tölg, 1993), stammt aber den Teichfischer (1994) zur Verfügung stehenden Quellen nach ebenfalls aus China.
Kuhn (o. J.) äußert sich wenig respektvoll: Die Japaner sind ja in kulturellen Dingen immer nur die gelehrigen Schüler ihrer Meister und Vorgänger, der Chinesen, gewesen.
Anders sieht es Ladiges (1956): … die Kultur Japans ist nicht die Kultur Chinas. So wie sich die leichte Kirschblüte der japanischen Kultur von der Erdgebundenheit Chinas entfernt hat, so haben auch diese Fische dort dem Geschmack Nippons entsprechend eine andere, zartere, leichtere, verspieltere Form erhalten.
Eines steht jedoch fest: Die japanische Goldfischzucht hat auch die Goldfischkultur in Europa und Nordamerika maßgeblich beeinflußt. Teilweise durch die (finanziell günstigeren) Importe von Zuchtformen, teilweise auch durch die überwiegend mit japanischen Bezeichnungen belegten Rassen. Neben dem Wakin (s. o.) sind nämlich die Mehrzahl der hier erhältlichen Zuchtformen ebenfalls eher unter dem japanischen als unter dem chinesischen Namen bekannt (vgl. Kapitel Zuchtformen).
Den starken japanischen Einfluß auf die heutige europäische und U.S.-amerikanische Goldfisch-Szene erkläre ich mir durch die jahrzehntelange Isolierung der Volksrepublik China von den meisten westlichen Ländern. (Die Aquaristikliteratur der DDR zeigt, daß dort ein größerer chinesischer Einfluß herrschte.)
Auch heute noch wird der Weltgoldfischmarkt von japanischen Züchtereien und Exporteuren dominiert, jedoch beklagen sich übereinstimmend verschiedene Autoren über die schlechtere Qualität der japanischen Fische.
Im Goldfischgebiet von Kooriyama werden heute noch in großem Stil Goldfische gezüchtet; nach Piechocki (1981) beträgt der dortige jährliche Ausstoß ca. 10 bis 12 Millionen Exemplare.
Neben China und Japan hat die Goldfischzucht auch in Indonesien, Korea und Singapur ein hohes Niveau erreicht. Ladiges (1956) schreibt: Selbst das kleine Korea hatte seinem eigenen Geschmack entsprechend eigene Formen entwickelt, über die jedoch wenig bekannt ist.
Axelrod (1960) (zitiert nach Piechocki, 1981) berichtet von sonst seltenen (Schokoladen-Goldfisch) und unbekannten (blinde Goldfische und rotäugige Albinos) Goldfischen, die von indonesischen Chinesen gezüchtet werden. Leider sind mir aus den drei erwähnten Ländern keine Details über die historische Entwicklung und die dortigen Zuchtformen bekannt. Südkorea und Singapur beliefern jedoch auch heute den Weltmarkt mit großen Mengen preisgünstiger Standardformen.
Europäische Massenzuchten des Goldfisches befinden sich in Italien, in der Gegend um Bologna.
Bologna, Italien — Hat hier etwa Marco Polo, der italienische Asienreisende, etwas mit Goldfischen zu tun? Hat Marco Polo außer Nudeln, Papier und Feuerwerk auch Goldfische aus China nach Italien gebracht? Nein, ich habe bisher sogar nur sehr unklare Hinwiese, daß er über den Chi yu überhaupt etwas berichtet habe.
Goldfische und Berichte über sie sind mehrfach nach Europa gelangt; wann genau tatsächlich zum ersten Mal dies erfolgte (und unter welchen Umständen weitere Importen stattfanden) ist leider nicht sicher herauszufinden. Piechocki (1981) schreibt treffend:
Obwohl die Verbreitung des populärsten Zierfisches durch den Menschen erst vor einem halben Jahrtausend begann, ist es nicht möglich, diesen Vorgang lückenlos zu schildern.
Es gibt zwar eine Jahreszahl für den ersten Transport nach Europa, doch sind sowohl die Akteure als auch das Zielland unklar. Die legendäre Jahreszahl ist 1611.
1611 gelangten vermutlich also die ersten Goldfische nach Europa. Nach Piechocki (1981) wird diese Jahresangabe ohne nähere Angabe zum ersten Mal in Brehms Tierleben genannt. Verschiedene Autoren berichten von vagen Angaben, daß in England bereits unter der Regierung von Jacob I. (1566 - 1625) Goldfische gewesen seien. Mehrere Umstände deuten aber auch auf Portugal hin:
1549 ließen sich mit Erlaubnis der kaiserlichen chinesischen Regierung Portugiesen in Macao nieder (1557 wurde ein Pachtvertrag geschlossen, und bis 1999 befand sich das Gebiet unter portugiesischer Verwaltung). Nach Teichfischer (1994) legten sie dort Gärten an, in denen sie Vögel und Goldfische züchteten. Daß Goldfische von dort aus nach Europa gelangten, ist also durchaus wahrscheinlich; unklar ist nur, wann genau.
1643 kamen die Jesuiten Martino und Martini nach Hangzhou (wir erinnern uns: eines der Zentren der Domestikation des Chi yu, s. Seite Die Domestikation) und errichteten dort Kirchen. Martini beschäftigte sich auch mit Goldfischen und brachte zusammen mit seinem chinesischen Begleiter Zheng Weixin die ersten Goldfische in die Niederlande. Laut Teichfischer (1994) waren dies 10 Fische, darunter Drachenaugen und Rotkopf-Goldfische — also bereits sehr früh ausgefallene chinesische Zuchtformen in Europa! Eine Jahreszahl zu diesem Import gibt Teichfischer leider nicht an.
Piechocki (1981) führt das Universallexikon von Pierer (1843) an, demzufolge der „Goldkarpfen ohne Bartfäden“ im Jahr 1651 durch die Engländer nach Europa (in welches Land?) gebracht wurde. Piechocki und Kuhn (o. J.) zitieren den deutschen Schiffs-Chirurgen und Forschungsreisenden Engelbert Kämpfer aus Lemgo, der in den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts Siam (das heutige Thailand) und Japan bereiste und Kunde von dem Goldfisch als einem Haustier der Chinesen und Japaner nach Europa brachte. Er beschreibt fingerlange rote Fische mit schönem gelben Schwanz, die als Jungtiere schwärzlich seien; mitgebracht hat er wohl keine.
Noch eine immer wieder auftauchende Jahreszahl gibt es, und wieder ist unklar, ob der Transport nach England oder nach Portugal ging: 1691 gilt nach mehreren Autoren als Jahr der Ersteinfuhr nach Europa (den oben aufgeführten Angaben zufolge, war es wohl nicht mehr die Ersteinfuhr). Nach Piechocki (1981) könnte dieser Transport sowohl über Java nach Portugal gegangen sein als auch nach England. Pénzes & Tölg (1993) zufolge erreichten sie in diesem Jahr England. Teichfischer (1991 und 1994) äußert die Vermutung, daß der Transport von 1611 nach Portugal ging, der von 1691 nach England.
1711 erhielt nach verbürgten Quellen der Herzog von Richmond ein großes chinesisches Tongefäß mit Goldfischen (Piechocki, 1981). 1728 brachte dann Philipp Worth Goldfische aus China nach England (Piechocki, 1981 und Teichfischer, 1994). Diese Goldfische machten mit einem Schlag die Goldfischhaltung in England zur Mode. Sie vermehrten sich nach Leunis (1860) so stark, daß im Jahre 1760 der Holländer Dr. Bastler 30 Exemplare erhielt. Bastlers Fische pflanzten sich in dessen Teichen weiterhin so gut fort, daß sie überallhin verteilt werden konnten und laut Leunis die Vorfahren fast aller damals in Gläsern und Teichen gehaltenen Goldfische waren. Dies widerspricht häufigen Angaben, daß Goldfische in Europa erstmals 1728 (alternativ wird die Jahreszahl 1780 genannt) in Holland gezüchtet worden seien.
Auf dem Kontinent wurden Goldfisch sehr schick (man sollte nicht vergessen, daß sie damals noch sehr teure Kostbarkeiten waren), nachdem Jeanne Antoinette Poisson, Marquise de Pompadour (1721-1764) einige aus China importierte Goldfische geschenkt bekam. Laut Pénzes & Tölg (1993) wurden sie ihr von Ludwig XIV. zum Geschenk gemacht, Teichfischer (1991 und 1994) nennt Ludwig XV. und das Jahr 1755; Kuhn (o. J.) und der sich wohl auf diesen beziehende Piechocki (1981) schreiben, daß sie im Jahre 1750 ein Geschenk der Französisch-Ostindischen Kompanie gewesen seien. Ein Blick ins Geschichtsbuch klärt, daß der Regent Louis XV. (1710-1774) war; wer aber nun wann genau das Geschenk machte, bleibt unklar. Das Geschenk selbst war wohl auch eine Anspielung auf den Geburtsnamen der Marquise: Poisson (französisch für „Fisch“). Wie Teichfischer (1991) berichtet, haben diese Goldfische nicht lange gelebt; sie wurden liebevoll „zu Tode gefüttert“. Da Madame Pompadour damals die Mode vorgab, wurden Goldfische nun nicht nur in der französischen Aristokratie sondern in ganz Europa bekannt und verbreitet.
1780 erschien in Paris das Buch „Histoire Naturelle des Dorades“ (Sauvigny, 1780), in dem Stiche nach chinesischen Aquarellen verschiedene Zuchtformen darstellten. Diese Bilder (vgl. Abb. 2 und 3 auf der vorhergehenden Seite Aquarienkultur in China) machen auf mich den Eindruck, als habe der Künstler Martinez selbst nicht glauben können, was er da von den Chinesen abkupferte …
Goldfische gelangten nach Spanien, Italien, Deutschland und Rußland. Um das Jahr 1780 herum brachte der preußische Botschafter in den Niederlanden, Graf von Heyden, Goldfische nach Berlin. Das Jahr der Ersteinfuhr nach Rußland ist unbekannt; jedoch gibt es zwei bemerkenswerte Ereignisse: der russische Fürst Potemkin mochte Goldfische so sehr, daß er 1790 die Tische eines zu Ehren der Zarin Katharina in seinem Wintergarten in Petersburg gegebenen Festessens mit in Glasglocken gehaltenen lebendigen Goldfischen schmückte (Piechocki, 1981, Pénzes & Tölg, 1993), und Alexander Puschkin (1799 - 1837) schrieb das Märchen „Der kleine Goldfisch und der Fischer“.
1797 erschien der zweite Band der „Stubenthiere“ von Bechstein, indem gerade einmal zwei Fische genannt werden: der „Schlammbeißer“ und der „Goldkarpfen“.
Die große Verbreitung der Goldfische fand in Europa also zur Zeit des Rokoko statt; und entsprechend diesem Stil gestaltete sich auch ihre Haltung. Details finden Sie demnächst auf der folgenden Seite Europäische Goldfischkultur.
Die bisher gezeigten und gehaltenen Tiere waren Normale (Gewöhnliche) Goldfische und Grasgoldfische („Wakins“). Zwar waren schon im 17. Jahrhundert ausgefallene Zuchtformen nach Europa gelangt (s. o.), doch scheinen sie nicht sonderlich bekannt geworden zu sein. Die ersten japanischen Schleierfische gelangten nach Piechocki (1981) im Jahre 1872 nach Paris und erregten dort ungeheures Aufsehen. Daraufhin wurden dann auch in Europa solche Formen gezüchtet.
Pénzes & Tölg (1993) zufolge wurden 1850 die ersten Goldfische — wahrscheinlich mit japanischer Vermittlung — nach Nordamerika transportiert. 1865 war der Goldfisch die Neuheit und Sensation der New Yorker Warenhäuser. Piechocki (1981) dagegen berichtet, daß im Jahre 1874 Konteradmiral Daniel Ammon der U.S. Navy Goldfische in die USA gebracht habe. 1876 gelangten dann japanische Exporte (darunter die ersten Teleskopschleierschwänze) in die Umgebung von Philadelphia und Washington. Pionier der amerikanischen Goldfischzüchter war Hugo Mullertt, der im Sommer 1881 einen Goldfisch mit besonders langer Schwanz- und Afterflosse herausbrachte: den Kometenschweif (Piechocki). 1888 oder 1889 wurde eine Goldfischfarm in Fredericksburg/Maryland gegründet, die vor allem gewöhnliche und doppelschwänzige Goldfische züchtete, die über Zwischenhändler in Philadelphia, Baltimore, New York, Boston und anderen Städten vermarktet wurden. In Martinsville/Indiana bedeckten 200 Zuchtteiche eine Fläche von 100 Morgen Land. Begeisterte Privatleute und japanische Einwanderer hielten seltene Zuchtstämme.
In letzter Zeit sind Goldfische in jedem Staat der USA außer Alaska in freier Natur beobachtet worden (Pénzes & Tölg).
Goldfische sollen verschiedenen Quellen nach in nordamerikanischen Freigewässern Längen bis zu 60 cm erreicht haben; in einigen Gegenden sind sie eine große Gefahr für die von ihnen verdrängten einheimischen Fische geworden. Dies gilt auch für verschiedene andere Länder und Inseln.
Im 19. Jahrhundert gelangten Goldfische auch nach Australien und Neuseeland, sie sind jetzt in beiden Ländern in freier Natur weit verbreitet. Genauere geschichtliche Daten habe ich (noch) nicht.
Letzte Überarbeitung: 30.05.2003/26.06.2006
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